Von Forschung und Transfer zur nachhaltigen Transformation
Prof. Dr. Jens Schneider
Sehr geehrter Herr Schneider, was sind Ihre Erwartungen an den bi-direktionalen Austausch mit Ihren Partnern und was fließt zurück an die Universität?
Gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern im In- und Ausland wollen wir in einem größeren Bereich oder Themenkomplex forschen und zusammen Neues entwickeln. Auch hier ist die Idee des Gernsheim S&T Parks hochinteressant, denn wir können als Universität manche unserer Ideen, die wir in den Laboren und Forschungseinrichtungen entwickelt haben, nicht eigenständig in einen industriellen Maßstab skalieren. Und das gilt auch für unsere Start-Ups, die sich aus der Universität entwickeln. Wir sind dann auf Unterstützung angewiesen, wenn wir Entwicklungen, die im Labormaßstab funktionieren, auch unter industriellen Bedingungen ausprobieren möchten. Bei diesem „Upscaling“ sehen wir neue Effekte in einem anderen Maßstab. Wir wissen, dass diese Effekte wiederum zurück auf unsere Grundlagenforschung an der TU wirken. Meine Erfahrung ist, dass dieser Rückfluss häufig aus praktischen Problemen heraus entsteht. Letztendlich erwarten wir von derartigen Kooperationsaktivitäten, dass sich Erkenntnisse gegenseitig befruchten und Innovationszyklen durch diesen Austausch schneller und damit effizienter werden.
Welche Bedeutung haben Netzwerke und insbesondere Start-Ups in diesem Zusammenhang?
Unsere Gesamtstrategie fassen wir an der TU Darmstadt unter den Leitsatz „Advancing Science for Transformative Solutions“. Doch transformativ kann nur das wirken, was am Ende in Wirtschaft und Gesellschaft ankommt und Dinge verändert. Beim Thema Klimawandel beispielsweise wird sofort klar, dass wir schnell agieren und Forschungsergebnisse umgehend zur Anwendung bringen müssen. Deshalb sind wir an der TU Darmstadt in vielen Bereichen sehr daran interessiert, Forschungsergebnisse in der Anwendung selbst auszuprobieren und so auch wieder neue Impulse in die Grundlagenforschung einzubringen.
Die Intensivierung von Start-Up Netzwerken bis hin zur Produktion macht ja gerade in den Ingenieur- und Naturwissenschaften sehr viel Sinn.
Start-Ups haben heute, gerade an einer Technischen Universität, eine viel höhere Bedeutung in diesem Ökosystem und dessen Umfeld. Gerade sie sind es ja, die diese Transformation ermöglichen können, nämlich indem sie Ideen in die Anwendung hinaustragen. Aber auch Start-Ups benötigen eine geeignete Infrastruktur, um überhaupt operativ tätig werden zu können. Im Tech- und Deep-Tech Bereich sind das nicht nur Computer und Bürostuhl. Es geht hier insbesondere um Test- und auch eine kleine Produktionsinfrastruktur. Start-Ups sind zunächst in ihrer frühen Phase oft noch bei uns an der TU Darmstadt angesiedelt, aber sobald sie größer und zu Grown- Ups werden, werden sie oft von etablierten Firmen aufgekauft, um ihr weiteres Wachstum zu ermöglichen. In dieser Situation ist dann die Frage, ob sie ihre Innovationskraft beibehalten können, denn oft werden sie zu früh von großen Firmenstrukturen verschluckt. Ein Gernsheim S&T Park bietet große Chancen für Grown-Ups, für die er gedacht ist und denen er Infrastruktur und damit Freiheit bietet, ohne in einer großen Firma aufzugehen. Der Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit ist bei vielen Gründerinnen und Gründern aus guten Gründen sehr ausgeprägt.
Spielt bei Ihnen der Gedanke einer Intensivierung der Zusammenarbeit auch in Form von regionalen Allianzen mit anderen Hochschulen eine Rolle?
Zum einen gibt es die Allianz der Rhein-Main-Universitäten Frankfurt, Mainz und Darmstadt (RMU), die immer stärkeres Gewicht bekommen wird. Mit der JGU Mainz, die für uns ein natürlicher Partner ist und mit der wir sehr gerne zusammenarbeiten, verbindet uns sehr viel, unter anderem arbeiten wir beide an der Entwicklung eines starken Europäischen Universitätsverbunds, das den internationalen Kontext bildet. Mit der Universität Frankfurt betreiben wir bereits seit vielen Jahren intensiv kooperative Forschung und haben auch schon einen gemeinsamen Studiengang entwickelt, in der Medizintechnik. Mit den Fraunhofer-Gesellschaften bestehen intensive Kooperationen in der Informatik, Digitalisierung, Materialforschung und Zuverlässigkeit. Aktuell arbeiten wir am Aufbau einer neuen Zusammenarbeit zu Energiesystemen. Es ist immer häufiger so, dass im Falle komplexer Problemfelder größere Konsortien zusammengeführt werden, die dann interdisziplinär an Lösungen arbeiten. Die Zusammenarbeit verschiedener Hochschulen als Institutionen in Konsortien, auch mit außeruniversitärer Forschung und der Wirtschaft gewinnt immer mehr an Bedeutung. Konsortien werden also auch im universitären Umfeld immer wichtiger. Unser natürlich definierter, regionaler Schwerpunkt in Frankfurt-Rhein-Main ist zum einen bedingt durch räumliche Nähe, zum anderen baut er auf bestehende Kooperationen der Fakultäten und Forscherinnen und Forscher auf, von den Ingenieurwissenschaften über die Naturwissenschaften bis zu den Geistes- und Sozialwissenschaften, zum Beispiel von der Physik bei uns über die JGU Mainz bis zum Max-Planck-Institut für Polymer-Forschung in Mainz. Der Rhein ist für uns keine Grenze, sondern ein Band, das uns mit vielen verbindet.
Welche Bedeutung hätte der Gernsheim S&T Park für die TU Darmstadt?
Wir haben weiterhin an der TU Darmstadt viel vor. Insbesondere der Campus Lichtwiese und der Bereich am Flughafen Griesheim bietet uns dafür noch gute Entwicklungsmöglichkeiten. Allerdings sind ausgeprägt technologische Infrastrukturen, auch durch ihre bau- oder genehmigungsrechtlichen Auflagen, eine Chance für Gernsheim. Hier gibt es bereits einen ausgewiesenen Chemie- und Industriestandort, während unser Universitätscampus Lichtwiese beispielsweise auch zur Naherholung von den Bürgerinnen und Bürgern genutzt wird. Deshalb haben wir die Gebäude unserer Lernfabriken und Großanlagen auch stets baulich und ästhetisch erfolgreich in den Campus integriert. Es gibt hier noch Möglichkeiten, aber auch Grenzen. In Gernsheim können Dinge verwirklicht werden, die an unseren bisherigen Standorten nicht möglich sind, zumal der Standort auch sehr viel Platz bietet. Natürlich erfährt Ihr Standort in Gernsheim durch seine Aufwertung zum Science &Technology-Park eine Steigerung seiner Attraktivität, er bleibt aber vom Charakter her eher ein Industriegebiet.
Lassen Sie uns noch über Nachhaltigkeit sprechen und über die Bedeutung, die Sie dem Thema GreenTech zuweisen. Wie sehen Sie dessen Bedeutung als Grundthema des S&T Park Gernsheim?
Das gesamte Feld um Sustainability, Circular Economy und GreenTech wird enorm an Fahrt gewinnen. Ich glaube, dass der Klimawandel immer wahrnehmbarer wird und daraus ableitende Probleme an Schärfe zunehmen werden. Meine persönliche Einschätzung ist, dass auch die Frage, wie wir Klimaveränderungen entgegenwirken, aber auch mit ihnen leben können, immer stärker in den Vordergrund treten wird. Der Druck, der von diesem Bereich ausgeht, wird nicht linear, sondern exponentiell ansteigen. Dies beschränkt sich nicht nur auf die Themen Energieversorgung, sondern umfasst alle natürlichen Ressourcen. Neben Technologien im Bereich Energie müssen z.B. auch ressourcenschonende Technologien für die Nutzung von Materialien und Wasser weiterentwickelt werden. Dabei werden wir Wege gehen müssen, die vielleicht vor zwanzig Jahren verworfen wurden, weil sie zu teuer erschienen. Im Bauwesen zum Beispiel orientieren sich immer noch viele Entwürfe zu wenig an ressourcenschonenden Bauweisen, da Material- und Energienutzung nicht über den gesamten Lebenszyklus bewertet werden. Hier wird sich zukünftig ein anderer Blick auf Ressourceneffizienz etablieren müssen. Die Ressourcen, die eingesetzt werden, müssen zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Lebenszyklus genutzt, aber auch wieder in den Wertstoffzyklus zurückgeführt werden. Alle Themen, die sich um das Thema Ressourcen gruppieren, sind grundsätzlich gewinnbringend. Wir müssen endlich mit einem anderen Bewusstsein an die Themenfelder Energie, Material und auch Wasser herangehen. Ein tagesaktuelles Beispiel ist die Diskussion um knappes Bauholz durch die Nachfrage aus den USA und China, aber auch anorganische Werkstoffe wie Beton und Glas sind von Ressourcenknappheit betroffen. Es gibt mittlerweile schon eine Knappheit an geeigneten Sanden für die Glasproduktion. Früher hieß es: „Sand gibt’s wie Sand am Meer“. Das ist nicht mehr so. Gleichzeitig bedingt die Zementherstellung aktuell einen sehr hohen Energieeinsatz, und die Möglichkeiten der CO2-Abscheidung werden zu wenig genutzt. Die heutige Art Städte zu bauen, lässt sich schon allein deshalb nicht mehr auf die nächsten hundert Jahre extrapolieren, weil die natürlichen Ressourcen dazu sehr bald fehlen werden. Diese Tatsachen weisen uns den Weg zu wichtigen Tätigkeitsfeldern. Die uns nachfolgenden Generationen werden massive Probleme bekommen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Der Aufwand für die Planung wird dann höher, aber bei höheren Energie- und Materialpreisen lohnt es sich doch, intensiver nachzudenken und intelligentere Lösungen zu entwickeln.
Vielen Dank, Herr Prof. Schneider. Dann hoffe ich, daß wir bald gemeinsam an und in Gernsheim arbeiten werden.
Das Interview führte Dietmar Möller.